Ernst Molden
nimm mich schwester
Fünfzehn Jahre nach seinem erstmaligen Erscheinen liegt Ernst Moldens Debütalbum nun wieder vor. Liebevoll remastered von Walther Soyka, nach wie vor eine hochemotionelle und tiefpoetische Platte.
Rainer Krispel erinnert sich:
Hierher, da spielt eine Musik!
Wir sind einig, das Internet und ich. „Nimm mich Schwester“ manifestierte sich 2003. Das scheint ein Leben lang her. Mehrere Leben lang. Leben, die Ernst Molden und mir, als „guter Geist“ im von Veronika Molden gestalteten Booklet der CD geführt, unendlich lieb sind, hatten noch nicht ihren Anfang genommen oder waren im Begriff es zu tun. Karl, Nelly und Bruno waren noch Träume, Hoffnungen, Möglichkeiten. Die Zukunft war, wie eigentlich immer, ordentlich ungeschrieben. Nicht zuletzt, was das Musikerleben und die Musik meines
Freundes Ernst Molden anging. Es existierte höchstens der Hauch einer Spur, eine Ahnung, von der umfassenden medialen Wertschätzung und dem Publikumszuspruch, die diese heute –
was und wie denn auch sonst! – genießen.
Am ersten April 2002 hatten wir uns kennengelernt. Ernst erschien mit Gitarre, Verstärker, Musik und Literatur – sein damals jüngster und bis heute (leider) letzter Roman, „Dr. Paranoiski“ war 2001 erschienen – in meiner Wirkungsstätte, dem Wiener Musiklokal Chelsea. Dessen Homepage führt bis heute die Ankündigung für den ursprünglich geplanten, und bis zu Ernsts Erscheinen von mir erwarteten, Martin Amanshauser im Netz-Archiv. Thomas Weber von The Gap und ich wollten versuchen zur Aufweichung der Kunstformen-Monokultur Lesungen im (Alternativ-)Musik-Kontext zu etablieren – nicht alles kann und muss etwas werden ... Der Abend mit Ernst aber wurde schön, samt intensiver Nachbesprechung, und ebenso vorgetragenen Visionen von Christoph Moser selig, der Ernst vokalisierend und textend im deutschsprachigen Dancehall-Kontext sah, was der Stimmung keinen Abbruch tat. Aufgewacht bin ich mit Kopfschmerzen, einem Molden-Buch („Austreiben“) und einer Telefonnummer, die bald zur Anwendung kam.
Neben unserer Freundschaft entwickelte sich rasch der „Plan“, nein, die Notwendigkeit, die neuen Lieder von Ernst aufzunehmen und zu veröffentlichen. Dem Songwriter und
Gitarristen (yeah!) Ernst Molden nach den Bands Teufel und Der Rest der Götter und Nachtbus unter eigenem Namen eine neue musikalische Gegenwart (und künstlerische Position) auf Tonträger zu geben. Never mind the Marketing-Konzept, die Musik, die Lieder, dieser geile, großartige Mensch, Künstler, Sänger, Texter, Gitarrist, Wahnsinnige ...
Ich erinnere mich (halb) an wenigstens eine Fahrt mit dem Zug ins Wiener Umland, es mag der Herbst 2002, vielleicht schon der Winter 2003, gewesen sein. In unserer seltsamen Republik machte sich Schwarz-Blau II breit („und da draußen stellt schon wieder wer die völlig falschen Weichen“ sang Ernst später) und ja, es war kalt. Im Studio von Fari Hendrich aka Harald Fendrich zum Glück nicht. Da spielten Ernst Molden und sein Schlagzeuger Heinz Kittner (Franz Bodi gastierte bei zwei Songs an der Gitarre) die Lieder ihres Live-Sets ein. Das klang gut, das klang warm, das klang vielleicht nicht perfekt, aber so lebendig, so – auf alle wirklich wichtigen Arten – richtig. Das muss so sein. „Du sollst schlechtes Wetter lieben, du sollst Dir was zu trinken kaufen“, heißen die ersten Zeilen von „Expresskaffee“, jenem Lied, das „Nimm mich Schwester“ eröffnet. Einer Musik, die so etwas sagt, kannst du vorbehaltslos vertrauen.
Ein netter Mensch von der Austro Mechana ließ uns wissen, dass eine Labelgründung nicht zwingend notwendig war, es muss ja nicht alles gleiche eine Firma werden, was keine sein will. Wir vergaben das Kürzel „e&rr 1“, Ernst & Rainer Records, mit der Nummer 2 ist stündlich zu rechnen ... Hoanzl machte den Vertrieb, schon im Vorfeld der Veröffentlichung traten die Medienmanufaktur und Charlie Bader als Agentur und Management von Ernst Molden in Erscheinung, eine Partnerschaft, die bis heute Bestand und Substanz hat. Wie die Musik, die Lieder auf „Nimm mich Schwester“. Die 14 Jahre später (viel) wieder gehört, nichts von ihrer Gültigkeit, ihrer Kraft und ihrer Zärtlichkeit, ihren oft verblüffenden Geheimnissen und Wendungen, von ihrem Witz, verloren haben und die, erstmals, wieder oder neu entdeckt, einen Blick darauf erlauben,woher Ernst Molden als
Liederschreiber und Musiker (auch) aufgebrochen ist, zu den vielen Liedern, die folgen sollten und die noch folgen werden. Am allerbesten ist aber sie einfach für sich zu hören, diese 11 Lieder, sich (ganz) nehmen lassen, von „Nimm mich Schwester“. Damals. Heute.
Rainer Krispel, Ottakring, Dezember 2017