
sigrid horn &
ernst molden
kuaz vuan weda
Im alten Wien, diesfalls in den frühen Siebzigerjahren, geisterte ein großer Mann konsequent auf Sandalen durch die Stadt. Er trug wirres Haar, hegte aber geordnete Gedanken. Sein Name war Rolf Schwendter. Er zählte zur seltenen Spezies jener Deutschen, die als „österreichischer Schriftsteller" in die Annalen eingingen. Wenn er, der im Brotberuf Sozialwissenschafter war, vom Fernsehen interviewt wurde, stand unter seinem markanten Konterfei verlässlich das wunderbare Insert „Devianzforscher". Nicht zuletzt faszinierten ihn die lokalen Abweichungen der Sprache. Warum kennt der hiesige Dialekt keine Einzahl fürs Ei? „Ara wachs Eier" lautet die korrekte Bestellung eines weichgekochten Eis in Etablissements wie dem Café Drechsler. In der Mehrzahl besteht der Wiener Dialekt aber dann justament wieder auf die unkorrekte Einzahl. „Ara Eierspeis mit drei Ei!" bestellte der geneigte Gast etwa im Kleinen Café am Franziskanerplatz.
Devianzforscher sind sie alle, die heutigen Songwriter der Österreichischen Szene. Und im Dialekt singen auch viele von ihnen. Sigrid Horn etwa ist im Mostviertlerischen Idiom beheimatet. Mit heller, kraftvoller Stimme begab sie sich etwa in ihrer Liedersammlung „Nest" auf kleine Fluchten und in kritische Reflexionen. Und landete am Ende, streicherumflort, im Herz der Stille. Ein Paradox ihrer Kunst liegt darin, gleichzeitig von sozialkritischer wie eskapistischer Anmutung zu sein. In ihrem Grübeln funkelt etwas Heilsames. Der Dialekt ist ihre ursprüngliche Aus- drucksform, eine, die beim Singen mehr Möglichkeiten bei den Vokalen und Konsonanten bietet als das Standarddeutsch", sagt sie. Das Mostviertlerische sorgt für einen anderen Stimmsitz, für markante Vokalfärbungen. Konkrete und imaginäre Landschaften vermischen sich auf untrennbare Weise in ihren Liedern. Den Verlockungen des Idylls geht sie nie auf den Leim. Trotz duftender „Öpfebam" und pittoresker,,Mostbianblia".
Ernst Molden, laut Eigenauskunft ein bis zwei Generationen älter als Horn, hat indes ein gänzlich anderes Verhältnis zur wilden Mundart. Nach frühen, zart anarchischen Jahren als „Künstler ohne Werk" trat er in den Neunzigerjahren mit Theaterstücken wie „Der Basilisk" und Romanen wie „Die Krokodilsdame" hervor. Zwischen 2003 und 2006 nahm er drei Alben mit hochsprachlichen Lyrics auf. Den Dialekt verortete er im „Austropop", dem damals kein vernünftiger Künstler zugehören wollte. Der Umschwung kam mit dem Album „Foan", auf dem er internationale Highlights wie Will Oldhams „I See A Darkness" und Nick Caves Weeping Song" ins Wienerische transponierte. Aufs Zwillingsalbum „Wien", das voller Eigenkompositionen war, schaffte es ein erstes Dialektlied. Und das war die „Hammerschmidgossn", eine Kollaboration mit dem von ihm hoch verehrten Willi Resetarits, der gleichfalls beides glaubwürdig beherrschte: die hochsprachlichen Lieder und jene „aus de entern Gründ". Bei Molden ist der Dialekt geliebte und gelebte Kunstsprache. Seinen Ritterschlag in diesem Idiom erfuhr er 2018, als er ein Asterix-Heft ins Wienerische übersetzen durfte.
Sigrid Horn bewies zuletzt mit „Paradies", ihrer Auftragsarbeit zu „,45 Jahre kein AKW Zwentendorf", Lust am Musizieren mit anderen. Molden ist sowieso seit fünfzehn Jahren allgegenwärtig. Niemand anderer in der Szene arbeitet mit derartig vielen und unterschiedlichen Charakteren zusammen, wie er. Eigener Stil und neugierige Anverwandlung scheinen ein Synonym bei ihm zu sein. Nun haben sich Horn und Molden erstmals gemeinsam in Klausur begeben. Auf ihrer ersten gemeinsamen Liedersammlung ,,Kuaz vuan Weda" ergibt sich diese reizvolle Spannung aus gewachsenem Dialekt und Kunstsprache, also zwischen erdiger Authentizität und sublimer Artifizialität. Die Uraufführung der Früchte dieser ersten längeren Zusammenarbeit von Horn und Molden fand in der Reihe „Soundstage" im Wiener Burgtheater statt. Von Anbeginn hoben die beiden ihre reizvoll unterschiedliche Wesens- und Ausdrucksart im intimen Interplay auf ein neues Subtilitätslevel. Auf überaus geschmeidige Weise ließen sie ihrer beider musikalischen Wurzeln in allerlei Americana-Sounds wachsen. Memphis und Mostviertel, Kentucky und Erdberg, alles wuchs organisch zusammen. Der intensive Jubel der bekanntlich immer schon sprachkritischen Burgtheaterbesucher war willkommener Lohn für eine künstlerische Kollaboration, die verstaubte Kategorisierungsversuche wie U und E ad absurdum führt. Heilsamer Regen, der Klischees hinwegspült und für Wachstum sorgt, wie in Horns Lied „Ruam" beschworen, ist mehr denn je gefragt. Rüben und Vogerlsalat, sogar „Gaugau mit Schlog" werden auf diesem grandiosen Album besungen, damit die Welt „tiriliert" und man ein besserer Mensch ob des Verzehrs wird. Das hätte wohl auch Rolf Schwendter getaugt. Der Mann verfasste schließlich einst ein Kochbuch namens „Vergessene Wiener Küche", mit dem grandiosen Untertitel,,Kochen gegen den Zeitgeist". Gegen selbigen brandet auch die Musik von „Kuaz vuan Weda" an. Es geht um Tradition und Utopie. Auf klandestine Weise flirtet sie mit dem Kanon, um letztlich doch ganz und gar von eigener Statur zu sein. Solch Beharrungsvermögen ist essenziell in einer Musiklandschaft, in der es keine Gewissheiten mehr gibt. Auf leisen Sohlen schleichen sich diese Lieder ins Gemüt und verändern kaum merklich die Perspektiven ihrer Hörer. Abseits aller simplen Dualitäten. Mehr geht nicht.
Samir H. Köck


Credits
SIGRID HORN: stimme, akustische und elektrische ukulele, piano
ERNST MOLDEN: stimme, akustische und elektrische gitarre, harp
produziert von SIGRID HORN, ERNST MOLDEN & FELIPE SCOLFARO CREMA
aufnahme, mix. master: FELIPE SCOLFARO CREMA (STUDIO CREMA)
linernotes: SAMIR H. KÖCK
photographie: DANIELA MATEJSCHEK
gestaltung: VERONIKA MOLDEN